Die zweite Woche ist schon rum und irgendwie vergeht mir die Zeit viel zu schnell. Heute war mein letzter Tag als educador in La Paloma. Mal wieder ein komisches Gefühl, aber ich werde die alle ja noch mindestens einmal wiedersehen, wenn ich mich verabschiede. Es war ein ganz anderes Gefühl jeden Tag dort hinzugehen. Ich war glücklich, dass ich wieder ins Team aufgenommen wurde … an allem teilnehmen konnte – an den reuniones, am Fussballtraining, an den Workshops. Klar, ist meine Situation jetzt eine andere als damals. Schließlich bin ich doch nur zu Besuch, aber alle haben sie so gefreut, dass ich mir die Zeit für La Paloma genommen habe. Zum Abschied meinte die Psychologin zu mir: „Also wir sehen uns dann Montag, oder?!“ Dabei hatte sie ganz vergessen, dass morgen meine Reise in den Süden beginnt. So alltäglich war es wohl schon mich wieder um sich zu haben.
Noch habe ich nicht viel zu Kindern gesagt, die nun nach La Paloma kommen. Es sind viele neue, die erst seit kurzer Zeit regelmäßig ins Projekt kommen, aber auch schon einige, die etwas länger da sind. Viele von damals sind nun in anderen Gruppen, die mit dem Alter ja auch die Gruppen getauscht werden. Vor allem aber ist es super interessant gewesen zu sehen, wie sich die Kinder innerhalb der zwei Jahre verändert haben.
So ein Junge, der jetzt 7 Jahre alt ist und damals der Jüngste der Kleinsten war. Er hat drei ältere Brüder und zwei Schwestern … er ist der zweitjüngste in der Familie. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass er sehr schüchtern war und seine Schwester, die in der gleichen Gruppe war, immer für in geantwortet und ihn verteidigt hat. Das ist jetzt nicht mehr so. Er ist älter geworden, aber in den zwei Jahren kaum gewachsen. Zwar sagt er nun seine eigene Meinung, aber redet trotzdem nicht viel. Der Junge ist oft sehr müde, wenn er nach La Paloma kommt und ihm wird schnell langweilig. Jedoch spielt er nun jeden Tag mit den großen Fussball in der freien Zeit. Es spielt schon ziemlich gut für sein Alter – auch wenn er so klein ist. Innerhalb der Familie hat sich einiges getan. Seine Mutter hat sich von dem stets betrunkenen und aggressiven Mann getrennt und hat nun einen neuen Partner, von dem man aber nichts genaues weiß. So ist die Mutter mit ihren fünf Kindern umgezogen, um mit ihrem neuen Partner zusammenzuleben. Sie arbeitet nachts, sodass die Kinder auf sich alleine gestellt sind und somit bis spät in die Nacht Fernsehen schauen. Es ist also auch kein Wunder, dass sie morgens nicht aufstehen können um zur Schule zu gehen. Außerdem kommen viele von seinen Freunden nicht mehr nach La Paloma. Man merkt dem Jungen an, dass er sie sehr vermisst. Zwar sind neue in die Gruppe gekommen, aber irgendwie ist er doch alleine. Zwar versucht er sich es nicht anmerken zu lassen, da er ja schließlich schon 7 Jahre alt ist und dazu auch noch ein Junge – die dürfen doch nicht traurig sein. Mir ist aufgefallen, dass er versucht, den Großen nachzuahmen. Er ist immer ernst, lacht sehr wenig und hat wirklich immer seine Hände in den Hosentaschen – um cool zu wirken. Doch wo ist das einfach nur Kindsein bei diesem Jungen geblieben?! Das Lächeln, das er stets auf den Lippen hatte?!
Nun möchte ich noch von einem Mädchen erzählen. Sie ist 14 Jahre alt, ein tapferes Mädel. Eigentlich gehört sie zu der Gruppe der Jugendlichen, aber sie kommt nicht mehr nach La Paloma … schon etwas länger nicht. Dabei ist sie doch gerne nach La Paloma gekommen, da viele ihrer Freunde da sind. Sie hatte immer einen lockeren Spruch auf den Lippen und hatte, meiner Meinung nach, eine Chance dem Teufelskreis zu entkommen. Sie ist sehr intelligent, ist regelmäßig zur Schule gegangen. Doch alles hat sich innerhalb dieser zwei Jahre geändert. Nun hat sie einen Freund. Er ist 16 Jahre alt und kommt auch nach La Paloma. Vor kurzem haben die beiden ein Kind bekommen … einen Sohn, gerade mal zwei Wochen alt. Die junge Mutter wohnt noch bei ihrer Mutter und es herrscht Chaos zu Hause. Insgesamt sind sie neun Kinder und viele von ihnen haben schon selber Kinder. So wohnen sie in einen kleinen Haus mit zwei Räumen mit ungefähr 10 Personen. Es ist nicht ganz klar, da immer welche kommen und gehen. Es ist sehr laut und unruhig. Letzte Woche habe ich das Mädchen und ihr Kind bei der Fiesta del día de niño gesehen. Sie war blass. Man merkte ihr an, dass sie erschöpft ist. Sie redete kaum und war in sich gekehrt. Sie suchte das Gespräch mit einer Arbeitskollegin … fing an zu weinen und sagte, dass sie überfordert sei. Aber irgendwie sind frühe Schwangerschaften hier normal. Aber so früh?! Vielleicht liegt es dadran, dass die jungen Mädchen, etwas eigenes haben wollen – nur für sich. Aber muss es denn gleich ein Kind sein?! Sie sind doch noch selber Kinder … können nicht mal auf sich alleine aufpassen … und müssen nun ein Kind großziehen. Viele junge Eltern versuchen sich der Verantwortung zu entziehen, indem sie die Kinder ihren Eltern überlassen. Sie machen so weiter wie bisher … suchen vielleicht Zuflucht in Alkohol und Drogen … Ich hoffe einfach, dass es ihr nicht passiert und sie ihren eigenen Weg gehen wird.
So die zwei kleinen Geschichten haben mich in den letzten Tagen sehr beschäftigt. Wie viel sich in kurzer Zeit verändern kann, ist mir klar, aber nie hätte ich gedacht, dass sich eine Situation komplett umdrehen kann – von einem Moment auf den anderen. Die Schicksale der Kinder regen mich zum Nachdenken an. Was ist falsch und was ist richtig?! Was geht in diesen Kindern vor?! Fragen über Fragen, aber keine Antworten.
Morgen früh geht’s für mich endlich in den Süden. Zuerst nach Calafate und dann mal sehen. Einen richtigen Plan habe ich noch nicht. Mal sehen, wohin mich der Wind tragen wird. Aber erstmal raus aus der Großstadt. Alles andere wird sich schon ergeben.
Ich versuche zwischendurch immer mal wieder Fotos zu posten, aber wer weiß schon, in wie weit das möglich ist …
Also bis dann erstmal!
Ganz liebe Grüße aus dem winterlichen Buenos Aires,
Mariel (: