Dritter Zwischenbericht
(März – Mai)
Mittlerweile sind nun schon neun Monate vergangen seitdem ich aus dem Flugzeug stieg. Neun unvergessliche Monate geprägt von Höhen und Tiefen. Ich kann es noch nicht wirklich fassen, dass ich nun schon so lange in Argentinien bin. Die Zeit verfliegt sehr schnell … An manchen Tagen kommen mir die letzten drei Monate bis zum Heimflug unendlich lang vor, aber auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, dass ich keine Zeit mehr habe, weil sie mir wegrennt …
Meine Aufgabe in La Paloma gefällt mir sehr gut. Die Schule hat wieder im März angefangen. Die meisten Kinder besuchen diese regelmäßig. Darauf wird besonders geachtet. Es war ein ständiges Hin und Her bei einigen Kindern. Hier in Argentinien gibt es zwei Möglichkeiten, wann sie zur Schule gehen. Es gibt Vormittags- und Nachmittagsunterricht. Entweder gehen sie von 8 bis 12 Uhr oder von 13 bis 17 Uhr in die Schule. Einige Kinder stehen morgens nicht rechtzeitig auf und müssen somit in den Nachmittagsturnus. Nur dann können sie leider nicht nach La Paloma kommen, außer wenn mal schulfrei ist. Aber Schule geht vor. Das wird auch allen Eltern und Kindern deutlich gemacht. Teilweise wurden einige Kinder erst im Mai, zwei Monate später, eingeschult, weil sich die Eltern nicht darum gekümmert haben. Die Kinder aus meinem Projekt gehen auf staatliche Schulen. Überwiegend sind die Klassen überfüllt und die Lehrer überfordert und unterbezahlt. Wenn ein Kind mit dem Lernstoff nicht mitkommt, hat es selbst Schuld. Störenfriede werden sofort vor die Tür geschickt oder bei schwereren Vergehen suspendiert. Die Schüler tragen ‚Guardapolvos‘, weiße Mäntel, mit denen sie auch einen günstigeren Bustarif bekommen. Fast die gesamte Förderung der Regierung gilt den Privatschulen. Deren Schüler tragen dort einheitliche Uniformen mit Schullogo. Die Schulen sind viel besser ausgestattet und die Klassengröße normal. Eine meiner Arbeitskolleginnen hat mir mal erzählt, dass damals die staatlichen Schulen besser waren als die privaten. Erst mit Präsident Menem in den ’90ger Jahren hat sich das geändert. Er hat nur noch die Privatschulen unterstützt und viel in „in die eigene Tasche gesteckt“, wie man hört.
Nach den Ferien wurden die Gruppen neu eingeteilt und Gruppennamen gewählt … „Los Unicos“ und „Los Superamigos“. Die neuen Kinder mussten sich erstmal an den normalen Tagesablauf gewöhnen, weil sie nur den Sommer in La Paloma kannten. In den Ferien war der Ablauf etwas anders. Einigen fiel es leicht, anderen schwer. Aber mittlerweile arbeiten alle sehr gut mit. Seit April gibt es wieder Fußballtraining zwei Mal die Woche. Letztes Wochenende war das erste Turnier diesen Jahres, worauf die Kinder sich unheimlich gefreut haben. Einige wollten die Nacht vorher nicht schlafen oder wachen ganz früh auf, weil sie Angst haben dieses monatliche Ereignis zu verpassen. Außerdem wird einmal die Woche ein Murgakurs angeboten – der argentinische Ausdruckstanz zu Trommelmusik. Auch der wird sehr gut angenommen und reichlich besucht. Es kommen extra Tanz- und Trommellehrer.
Natürlich gibt es auch Tage, an denen man lieber im Bett bleiben möchte, aber wenn ich dann durch die Tür im Projekt gehe, ist alles wieder vergessen. Meist sind schon einige Kinder dort und es hallt Musik aus dem Salon der Medianos. Natürlich Reggaeton (tanzbarer Reggae mit schnellerem Rhythmus) – was auch sonst?! Reggaeton hören hier die Jugendlichen rauf und runter. Die Texte können die Kinder auswendig und singen mit oder denken sich Choreographien aus, die am Ende des Tages vorgeführt werden. Teilweise kommen die Kinder auf einen zugestürmt, meist die kleinen, um einen mit einem Küsschen auf die Wange zu begrüßen, wie es in Argentinien so üblich ist. Es ist schön zu sehen, was die Kinder für eine Lebensfreude an den Tag bringen – trotz Problemen, die sie haben. Manchmal kommen mir da meine eigenen Probleme im Vergleich nichtig vor.
Im Februar/März hatte ich vier Wochen Urlaub. Ich hatte Besuch aus Deutschland und bin durch den Westen und Norden des Landes gereist. Mendoza war das erste Ziel. Eine Kleinstadt in den Anden mit Ausblick auf den höchsten Berg Argentiniens (Aconcagua 6970m). Von dort ging es in die Hügellandschaft, wo wir in Cordoba Capital ein paar Tage blieben. Die zweitgrößte Stadt in Argentinien. Danach haben wir die wunderschönen Iguazu-Wasserfälle an der Grenze zu Brasilien und Paraguay besucht. Ein paar Strandtage in Pinamar am Atlantik wurden auch mit eingeplant bevor der Urlaub zu Ende ging. Für ein Wochenende im März bin ich nach Rosario gefahren. Die drittgrößte Stadt von Argentinien.
Man merkt einfach wie riesig das Land ist, wenn man erst einmal unterwegs ist. Nach 20 Stunden Busfahrt kann man sich immer noch auf argentinischen Boden befinden. Es werden Strecken zurückgelegt, die man in Europa zu vermeiden versucht. Hier ist es ganz normal 15 Stunden im Bus zu verbringen, wo man in Europa lieber in ein Flugzeug steigt. Mir ist aufgefallen wie klein Deutschland doch ist. Dort beschwert man sich schon darüber, wenn man vier oder fünf Stunden im Auto sitzt … Wir Deutschen haben ein ganz anderes Raumgefühl. Man merkt auch, dass ein Drittel der 41 Millionen Einwohner Argentiniens in Buenos Aires und Provinz leben. Im Landesinneren kommt man oft an kleinen Dörfern vorbei, die sehr weit auseinander liegen … Und ich hatte manchmal das Gefühl, dass die Städte einfach Buenos Aires in klein darstellen. Fast jede Stadt ist im Schachbrettmuster aufgebaut, d.h. ein Cuadra (dt. Block) zählt 100 Hausnummern und misst ca. 100 Meter (Beispiel: die Straße ‚Avenida Rivadavia‘ in Buenos Aires, an der ich wohne, durchquert die Stadt von Osten nach Westen und besitzt ca. 22000 Hausnummern). Es gibt ein paar Parks und Plätze … die Straßen tragen die gleichen Namen. So findet man in nahezu jeder argentinischen Stadt die selben Straßennamen.
Die Menschen hier sind relativ geduldig. Brav wird auch eine halbe Stunde an der Supermarktschlange gewartet … wo ein Deutscher es sich doch lieber drei Mal überlegt, ob er wirklich einkaufen muss. Die Kassierer haben alle Ruhe der Welt … Außerdem reiht man sich ein, wenn man an der Bushaltestelle steht, und es wird nicht vorgedrängelt. Manchmal dauert es eine Weile bis der nächste Bus kommt und man nimmt in Kauf, dass man zu spät kommt. Aber sie bleiben ruhig … man gewöhnt sich ja schließlich an alles …
Ich freue mich sehr auf die kommenden Monate bis zu meinem Heimflug. Ich bin gespannt, was mich noch erwarten wird …
Saludos,
Mariel Schulz