Erster Zwischenbericht von meinem Jahr in Argentinien
(August bis November 2010)
So nun sitze ich hier im fernen Argentinien, Südamerika, und verfasse meinen ersten Zwischenbericht. Genauer gesagt befinde ich mich in Buenos Aires, der Hauptstadt Argentiniens, und das schon ganze drei Monate. Die Wochen waren geprägt von täglich neuen Eindrücken und Erfahrungen. Mittlerweile habe ich mich doch schon gut eingelebt und bin aus der Eingewöhnungsphase in das Alltagsleben hineingerutscht.
Noch gut erinnere ich mich an meinen ersten Tag hier im fremdem Land. Nach 16 Stunden Flug betrat ich total übermüdet zum ersten Mal argentinischen Boden und wir Voluntäre wurden am Flughafen höflich in Empfang genommen. Dann ging es in die Theologische Fakultät von Buenos Aires, kurz I.S.E.D.E.T., im Stadtteil Flores. Ein riesiges Gebäude, wo alles so fremd war – die Menschen, der Geruch, die Sprache … einfach alles. Dort verbrachte ich meine ersten drei Wochen mit anderen Freiwilligen. Insgesamt waren wir 45 Voluntäre, die es überhaupt nicht abwarten konnten endlich ihre Projekte zu sehen und sich in die Arbeit zu stürzen.
Der Tagesplan des Seminars war gefüllt mit Sprachkurs, Workshops und Vorträgen zur Kultur. Dann kam unser Abschiedsabend – natürlich mit ‚Asado‚, wie es halt so in Argentinien üblich ist. In den USA würde man zu ‚Asado‚ Barbecue sagen und in Deutschland einfach Grillabend. Nach dem Seminar ging es für uns Freiwillige in unser Zuhause für das kommende Jahr. Ich musste glücklicherweise nur drei Straßen weiter und nicht wie andere noch weite Reisen auf mich nehmen, z.B. nach Uruguay, Paraguay oder in andere Teile des Landes. Es dauerte eine Weile bis ich mich an mein neues Heim gewöhnt hatte. Schließlich war alles anders als in Deutschland. Anfangs hatten wir kein heißes Wasser, dann ging unsere Toilettenspülung nicht und das Bad war überschwemmt … ja, das Licht war auch noch im Bad kaputt und da es dort nur ein winziges Fenster gibt, verbrachte man die Zeit dort im Dunkeln. Aber dank unserer Sprachkenntnisse, die täglich besser werden, konnten wir einen Klempner rufen. Inzwischen fühle ich mich in unserer Wohnung wohl. Meine zwei Mitbewohnerinnen und ich haben uns gut eingelebt und verbringen zusammen schöne Abende. Vor dem Alleinwohnen hatte ich anfangs viel Respekt – einkaufen, kochen, waschen. Aber es klappt wirklich besser als erwartet.
Eine große Zeit verbringe ich in meinem Straßenkinderprojekt „La Paloma“. Von Montag bis Freitag arbeite ich dort von 12 bis 17 Uhr.
Mein Projekt befindet sich in der Provinz von Buenos Aires, genauer in San Justo / La Matanza. Von meinem Wohnort Flores fährt man ungefähr eine Stunde mit dem Bus. La Paloma ist ein Tageszentrum, also kommen die Kinder mittags nach der Schule ins Projekt. Sie wohnen meist in den umliegenden Barrios und Villas, den sogenannten Armenvierteln, in armen, sozial schwachen Familien. Um 13 Uhr trudeln denn auch die letzten ein und es gibt Mittagessen. La Paloma hat eine projekteigene Köchin und somit gibt es täglich eine gesunde Mahlzeit. Meistens gibt es Spaghetti, Reis oder Kartoffeln mit Gemüse und Fleisch. Zum Nachtisch gibt es fast immer Obst. Anschließend werden die Zähne geputzt und wer möchte kann duschen.
Nach der freien Zeit geht es denn um 14.30 Uhr weiter mit der Gruppenphase. Es gibt drei Gruppen in la Paloma: die Chiquitos (5 bis 9/10 Jahre), die Medios (10 bis 12 Jahre) und die Jovenes (13-19/20). Die Gruppen sind unterschiedlich groß und jede wird von zwei Mitarbeitern betreut. Hauptsächlich arbeite ich mit den Chiquitos zusammen. Es wird gemalt, gebastelt und gespielt. Man arbeitet so ca. 2-3 Wochen inhaltlich zu einem Thema. Das letzte Thema war „La Huerta“, der Gemüsegarten. Die Kinder haben ihren eigenen kleinen Gemüsegarten auf dem Projektgelände angelegt mit Salat, Tomaten … Wir haben einen großen Gemüsegarten ganz in der Nähe besucht und einen Bauernhof. Das nächste Thema wird sein „Animales“, Tiere. Dazu sind verschiedene Spiele und Aktivitäten geplant, u.a. auch ein Ausflug in den Zoo von Buenos Aires.
Um 16 Uhr ist die Gruppenphase vorbei und es gibt die Merienda. Dazu treffen sich die Gruppen im Speisesaal. Merienda kann man mit dem deutschen Kaffeetrinken vergleichen. Für die Kinder gibt es Kakao und für die Erwachsenen Mate, ein typisch argentinisches Getränk. Nebenbei gibt es viele süße Kekse, von denen die Kinder nie genug bekommen können. Nachdem wieder alles aufgeräumt und sauber ist, finden sich alle im Salon ein. Es wird meistens noch ein Spiel gespielt oder eine Geschichte vorgelesen bevor die Kinder um 17 Uhr nach Hause fahren.
Natürlich kommt das Fußballspielen in La Paloma nicht zu kurz. Am liebsten würden sich die Kinder die ganze Zeit auf dem projekteigenen Platz aufhalten, um zu kicken. Alle spielen zusammen – jung und alt, groß und klein, Jungen und Mädchen. Zwei Mal die Woche gibt es auch Training. Einmal für die Kinder und einmal für die Jugendlichen. Somit bereiten sie sich auf das Turnier „Fútbol Callejero“ vor, welches einmal im Monat stattfindet. Dort kommen Kinder/Jugendliche aus vielen Projekten zusammen und spielen mit besonderen Regeln, zum Beispiel gibt es keinen Schiedsrichter. Alles läuft unter dem Aspekt Fair Play und Toleranz. Es ist das monatliche Highlight und die Kinder freuen sich immer sehr darauf. Nun ist die Saison für dieses Jahr abgeschlossen und es geht in die Sommerpause. Eine Siegerehrung gab es auch, wo alle Kinder eine Medaille bekommen haben. Das Team aus La Paloma hat sogar einen 2. Platz gemacht und brachte somit einen Pokal mit nach Hause. Mensch … waren die Kinder stolz.
Im Großen und Ganzen gefällt mir die Arbeit dort wirklich gut. Anfangs hatte ich es schwer aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse. Von Tag zu Tag wird die Arbeit besser und so langsam komme ich rein, was auch meinen lieben Mitarbeitern zu verdanken ist. Einige arbeiten schon viele Jahre in La Paloma und sind es gewöhnt, dass jedes Jahr ein neuer Voluntär kommt, und sind somit sehr geduldig mit mir. Die Abläufe im Projekt werden mir auch immer bekannter und die Kinder und ihre Hintergründe lerne ich von Woche zu Woche besser kennen.
Ich werde durch La Paloma mit der Armut der Menschen in Argentinien konfrontiert. Anfangs setzte mir dieses Thema mehr zu als zuvor gedacht. Klar, haben wir in Deutschland schon auf den Seminaren darüber gesprochen, aber es ist doch immer etwas anderes, wenn man direkt vor Ort ist und sieht wie die Verhältnisse sind. Die Mehrheit der argentinischen Bevölkerung ist arm. Laut der INDEC leben 51 Prozent in ärmlichen Verhältnissen und 22 Prozent unter dem Existenzminimum. 2001 gab es eine große Finanzkrise und hat vielen den Boden unter den Füßen entzogen. Die Schere zwischen arm und reich hat sich weiter geöffnet und es gibt kaum eine Mittelschicht. Es gibt viele Obdachlose, Menschen ohne Zuhause und Familie, die nachts auf der Straße schlafen und im Müll nach Essensresten suchen. In den Villas herrschen Gewalt, Drogen und Missbrauch und es fehlt an Infrastruktur.
Einige der Kinder leben in solchen Verhältnissen, was man ihnen im Projekt nicht unbedingt immer anmerkt. Dort sind sie teilweise wie ausgewechselt. Aber manchmal kommen die Kinder mit kaputter Kleidung, oder Verletzungen ins Projekt oder sind aggressiv, schüchtern oder traurig. Erst dadurch merke ich, dass sie in solchen Verhältnissen leben müssen. Die Kinder gehen teilweise oder gar nicht zur Schule, weil sie zu Hause helfen oder arbeiten gehen müssen. Somit bleibt ihnen der scheinbar einzige Weg aus der Perspektivlosigkeit verwehrt – die Bildung.
Auf der anderen Seite versuche ich soviel wie möglich in meiner Freizeit zu unternehmen. Mir gefällt das Großstadtleben sehr, denn es gibt sehr viele Möglichkeiten und es ist immer etwas los. In so einer großen Stadt wie Buenos Aires gibt es natürlich ein riesiges Angebot an Kultur, Sport und sonstigen Aktivitäten. Ich besuche einen Salsakurs der Universität Buenos Aires und mache Sport ab und zu im Fitnesscenter. Ansonsten erkunde ich die Stadt oder unternehme etwas mit Freunden. Zum Beispiel war ich letztens bei einem Konzert von den Black Eyed Peas. Bald möchte ich mir ein Fußballspiel im Stadium angucken. Ich habe viel vor und ich genieße jeden Moment, der mir hier vergönnt ist.
Also, ich hoffe, dass ich euch einen kleinen Eindruck vermitteln konnte, wie es mir hier so geht und was ich mache. Außerdem habe ich auch einen Internetblog, auf dem ich so oft wie möglich Neuigkeiten veröffentliche.
Liebe Grüße aus dem fernen Argentinien,
Mariel