Nach dem Abitur absolvierte ich meinen weltwärts-Freiwilligendienst im Projekt Casita la Paloma. Ein ganzes Jahr war ich dort. In dieser Zeit fing ich auch an zu schreiben. Ich habe die Zeit in dem Projekt sehr zu schätzen gewusst. Ich war gerne dort und habe mit den Kindern, Jugendlichen und educadores (dt. Erzieher*innen) Fußball gespielt, Mate getrunken, gelacht, geweint und viel über Land und Menschen erfahren. An dieser Stelle möchte ich das Projekt kurz vorstellen.
Leider wurde den Kindern und Jugendlichen dieser Ort im Oktober 2018 genommen. Das Projekt musste nach mehr als 30 Jahren die Türen schließen. Die educadores verloren ihre Arbeit und ca. 50 Kinder und Jugendliche ihren wichtigen Rückzugsort. Das Projekt erhielt damals hauptsächlich finanzielle Unterstützung von der evangelischen Kirche. Zum Schluss konnte die Kirche das Projekt aufgrund einer finanziellen Notlage nicht mehr halten. So kam es zur Schließung! Fehlende finanzielle Mittel für soziale Projekte sind auch in Argentinien nicht selten.
Die Idee der Casita la Paloma lebt weiter!
Zum Glück gibt es jedoch engagierte Menschen, ehemalige educadores, die sich nach wie vor für die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen einsetzen. So haben die Kinder und Jugendlichen auch heute noch die Möglichkeit an zwei Tagen der Woche an Aktivitäten teilzunehmen. An einem Nachmittag wird zu bestimmten Themen gearbeitet. Dafür stehen der Gruppe Räumlichkeiten einer anderen Organisation/Verein zur Verfügung. An einem weiteren Tag wird Fußball auf einem angemieteten Platz gespielt. Die Erwachsenen, die diese Aktivitäten begleiten, machen das ehrenamtlich und tragen die entstehenden Kosten (Materialien, Platzmiete, Snacks, Getränke) selbst. Hauptberuflich sind sie alle in anderen Einrichtungen beschäftigt. Diese beiden Tage werden nach wie vor sehr gut von den Kinder und Jugendlichen angenommen.
Ein Ferienausflug
So fand in den argentinischen Sommerferien ein Treffen für Jugendliche ab zwölf Jahren statt, organisiert von den educadores. Es wurde ein Bus organisiert, um die Gruppe zu einem Häuschen mit Garten und Pool am Stadtrand zu bringen (evtl. vergleichbar mit einem Schrebergarten in Deutschland). Sowohl der Busfahrer als auch der Besitzer des Häuschen waren Bekannte/Freunde einer der educadores und so konnten die Kosten so gering wie möglich gehalten werden. Ohne diese Kontakte wäre so ein Tag nicht möglich gewesen!
Ich wurde ebenfalls eingeladen und so stand ich pünktlich um 9:00 Uhr am verabredeten Treffpunkt, um nochmals in der Welt der palomer@s einzutauchen. Ein Jugendlicher war bereits vor mir am Treffpunkt, aber alle anderen ließen noch auf sich warten. Als auch endlich die letzten Zuspätkommenden eintrudelten, setzte sich der Bus mit ca. 25 Kindern und Jugendlichen eine Stunde später in Bewegung. Vor Ort angekommen, wurde zunächst alles im Garten aufgebaut (Tische, Stühle, Slackline, Spiele, Musikanlage etc.). Anschließend konnten die Jugendlichen sich bis zum Mittagessen frei beschäftigen. Es wurde Fußball und Volleyball gespielt, im Pool geschwommen, gemalt und viel Mate getrunken. Auch ich wurde wieder sehr gut in die Gruppe aufgenommen. Schließlich waren mir noch ca. die Hälfte der Jugendlichen aus früheren Zeiten bekannt und einige erinnerten sich ebenfalls an mich.
Nach dem gemeinsamen Mittagessen wurden zwei Teams gebildet, die in zwei Spielen/Disziplinen gegeneinander antraten. Bis zur merienda konnte wieder den eigenen Interessen nachgegangen werden. Zusätzlich wurden Poster und T-Shirts per Siebdruckverfahren mit dem Spruch „PARA TODXS TODO“ (dt. alles für alle) gestaltet.
Lateinamerikanische Musik, überwiegend Reggaeton und Trap, schallte aus den Lautsprechern und als ich ihnen mitteilte, dass diese Musik mittlerweile auch nach Deutschland übergeschwappt ist, konnten sie es zuerst gar nicht fassen.Nach der merienda und einer kurzen Reflexion des letzten Jahres und Ausblick auf das laufende Jahr wurde alles verstaut und um 19:00 Uhr ging es wieder zurück. Ich denke, dass alle Beteiligten mit einem positiven Gefühl nach Hause gegangen sind. Der Pool war das absolute Highlight, da sich viele Kinder und Jugendliche nur ganz selten einen Schwimmbadbesuch leisten können und öffentliche Badegewässer gibt es hier nicht in der Nähe.
Gespräche über Träume
Einige der Jugendlichen waren zugänglicher als andere. Ich habe sehr interessante, aber auch aufwühlende, Gespräche geführt, welche ich an dieser Stelle zusammengefasst darstellen möchte.
Der Traum von einer besseren Schulbildung
Einige Jugendliche erzählten, dass sie aufgrund einer schlechten Phase bzw. Probleme bis zu zwei Jahre nicht zur Schule gegangen seien. Glücklicherweise konnten sie nach dieser problematischen Phase die Schule wieder aufnehmen. Anscheinend gibt es hier die Möglichkeit wieder in die Klassenstufe einzusteigen, die man verlassen hat. Das Wiederholen von Klassenstufen ist ebenfalls möglich. Ein weiterer Junge (13 Jahre) und sein Freund (15 Jahre) berichteten mir, dass sie gerne die Schule wechseln möchten, um eine Escuela de educación técnica zu besuchen. Diese Schulen sind weiterführende Schulen, die sowohl Fachunterricht als auch berufliche Orientierung/ Ausbildung miteinander verbinden. Dabei handelt es sich meist um technische und handwerkliche Berufe, wie z.B. Mechatroniker, Elektroniker, Ingenieur, Tischler. Leider gestaltet sich ein Schulwechsel nicht so einfach. Die Nachfrage ist sehr hoch, jedoch gibt es nur wenige Schulplätze.
Der Traum vom Studium
Der Traum einer jungen Frau, mittlerweile ist sie 19 Jahre alt, ist das Psychologiestudium. Sie hat die Schule erfolgreich beendet, ist zielstrebig und hat sich wohl auch schon mal in die Universität eingeschrieben. Der Besuch der staatlichen Universitäten ist nämlich kostenlos. Leider musste sie das Studium vorerst auf Eis legen, da ihr die finanziellen Mittel für die Lernmaterialien und vor allem für die öffentlichen Transportmittel fehlen. Nun ist sie auf der Suche nach Arbeit, was sich allerdings schwierig gestaltet. Glücklicherweise spielt sie leidenschaftlich Fußball und ihr Team gibt ihr etwas Rückhalt. Ich hoffe, dass sie bald eine Lösung für ihre Situation findet.
Traumlos
Die ältere Schwester der angehenden Psychologiestudentin, mittlerweile 20 Jahre alt, ist das Gegenteil von ihr. Sie hat die Schule nicht abgeschlossen, konsumiert Drogen, hat kein Ziel vor Augen. Sie kann sich kaum für Dinge begeistern und nimmt nur noch selten an den angebotenen Aktivitäten teil. Sie hat einen 6-jährigen Sohn, der auch am Ausflug teilgenommen hat. Was mit dem Vater ist, weiß ich nicht. Die beiden haben sich zwar über das Projekt kennengelernt, aber sie sind nicht mehr zusammen. Die jungen Mutter wohnt mit ihrem Sohn und jüngeren Geschwistern bei ihren Eltern – wenig Raum für viele Menschen. Schwangerschaften im Jugendalter sind hier nicht selten. Eine andere junge Mutter, 23 Jahre alt, nahm ebenfalls mit ihren drei Kindern (8,4,1 Jahre alt) an dem Ausflug teil. Ihr Partner, auch ehemaliger La Paloma -Besucher, war ebenfalls dabei. Da sie keine Person haben, die auf die Kinder aufpassen kann, konnten die Kleinkinder auch am Ausflug teilnehmen.