In den letzten Tagen wurde ich häufig gefragt, ob das Coronavirus schon nach Südamerika übergeschwappt sei und ob ich überhaupt etwas von der Situation in Deutschland, in Europa, auf der Welt mitbekommen würde. Die Antwort ist ganz klar: JA! Und das schon seitdem im Januar darüber geredet wird und noch keinerlei Maßnahmen in Europa getroffen wurden. Schließlich liegt Südamerika nicht auf dem Mond. Außerdem schaue ich regelmäßig die Tagesschau in 100 Sekunden, um mich auf dem Laufenden zu halten und habe noch das Glück lokale Nachrichten und Presse in meinen Reiseländern zu verfolgen. So bekomme ich einen umfassenderen Einblick über die Situation und lasse mich nicht nur einseitig berieseln. Ich wurde auch häufiger mit der Frage konfrontiert, ob ich schon Kontakt zu den deutschen Behörden in Chile aufgenommen hätte und ob ich mich nun zurückholen lasse. Die Antwort ist ganz klar: NEIN!
Gestrandet im Muffin Hostel
Natürlich muss auch ich meine Reisepläne der aktuellen Situation anpassen – also zumindest den bisschen Plan, den ich hatte. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass ich es hier nicht mehr aushalte.
Ganz im Gegenteil: Ich bin gerade ganz glücklich hier im Hostel in Valparaíso, in dem ich gestrandet bin. Klar, es ist komisch nicht zu wissen, wann es überhaupt weitergehen kann und wie lange wir hier festsitzen, aber hier fühle ich mich sicher. Außerdem sind wir insgesamt acht Personen und machen das Beste aus der Situation … kochen gemeinsam … lernen Spanisch … organisieren Spieleabende … machen gemeinsam Yoga … oder mensch kann auch einfach für sich sein. Schließlich sind wir alle hier gestrandet und können sowieso nichts an der Situation ändern. Die gemeinsame Sprache ist Englisch, da die Gruppe aus zwei Franzosen, einem Schweizer, einer Venezolanerin, einem Türken, einer US-Amerikanerin und zwei Deutschen besteht. Wir lachen viel, sitzen abends noch zusammen auf der Terrasse und irgendeine Person hat immer etwas zu erzählen … Also es hätte mich definitiv schlimmer treffen können!
Corona - Maßnahmen
Leider habe ich noch nicht allzu viel von der Stadt gesehen. Schließlich hat die chilenische Regierung den Notstand für 90 Tage ausgerufen und auch hier wird den Menschen geraten, dass Haus nur für wichtige Besorgungen oder für die Arbeit zu verlassen. Restaurants, Bars, touristische Aktivitäten haben geschlossen. Es gibt eine nächtliche Ausgangssperre von 22 bis 05 Uhr. Ich frage mich immer noch, was diese bezwecken soll, da nachts sowieso kaum Menschen auf den Straßen sind. Aber immerhin sorgt die Polizei und das Militär dafür, dass dies auch eingehalten wird. Die Grenzen sind bis auf weiteres geschlossen sowie der Busbahnhof, so dass ein Rauskommen aus der Stadt nur mit eigenem Fahrzeug möglich wäre – wenn da nicht die Straßenkontrollen wären.
Bei der Einreise nach Chile – am letzten Tag bevor das Land die Grenzen schloss, habe ich den letzten Platz im letzten Bus über die Grenze ergattert- mussten wir Einreisende eine zusätzliches Formular ausfüllen. Die Behörden wollten wissen, wo wir uns in den letzten 30 Tagen aufgehalten hätten und ob wir Symptome des Coronavirus aufweisen würden … und alles mit einer Unterschrift bestätigen. Dann wurde noch schnell Fieber gemessen, ein kurzes Kopfnicken und erst dann gab es den Einreisestempel … letztendlich bin ich froh, dass ich es über die Grenze geschafft habe.
Die argentinische Regierung hat nämlich viel drastischere Maßnahmen getroffen. Die argentinischen Grenzen sind ebenfalls geschlossen sowie die Grenzen zwischen den einzelnen Provinzen. Kindergärten, Schulen und Universitäten haben geschlossen sowie Restaurants, Bars, Geschäfte etc. Es wurde eine komplette Ausgangssperre verhängt … die Argentinier*innen dürfen das Haus nur noch verlassen, um zum Supermarkt, zur Apotheke oder zum Arzt zu gehen. Sie wurden ins Home-Office geschickt oder haben eine Sondererlaubnis um zur Arbeit zu gehen. Die Polizei und das Militär patrouillieren durch die Straßen. Was passiert also, wenn eine Person unerlaubt auf die Straße tritt und sie erwischt wird? Entweder hast du eine sehr gute Erklärung, bekommst eine Strafe oder landest im Gefängnis. Zunächst wurde die Ausgangssperre auf zwei Wochen limitiert, aber mittlerweile wurde sie um zwei weitere Wochen verlängert.
Also nochmal: Es hätte mich definitiv schlimmer treffen können!
Auf Entdeckungstour
Die Ecken, die ich schon von Valparaíso gesehen habe, finde ich schön. Ich habe einen Spaziergang durch die Straßen der Touristenviertel Cerro Alegre und Cerro Concepción gemacht. Die Straßen waren leergefegt und die Hotels und Hostels hatten geschlossen. So hatte ich die mit Graffiti gestalteten Straßen fast für mich alleine und konnte vom Hügel die Aussicht über die Stadt genießen (s. Titelbild).
An einem anderen Tag haben wir einen Spaziergang an den Strand gemacht, der ganz in der Nähe des Hostels liegt. Das Wasser ist eindeutig zu kalt zum Schwimmen, da der Humboldtstrom kaltes Wasser aus dem Süden herträgt.
Mein erstes kleines Erdbeben
Mittlerweile ist auch schon Herbstanfang. Zwar scheint noch die Sonne, aber es wird schon kälter. Als ich eines nachts im Bett lag – kurz vorm Einschlafen – fing mein Bett auf einmal leicht zu ruckeln an. Kurzzeitig dachte, dass ich mir das nur einbilden würde, aber dann dachte ich mir: „Moment mal. Wir haben doch letztens über Erdbeben gesprochen. Das muss es sein!“ und tatsächlich am nächsten Tage wurde dieser Verdacht bei meiner Recherche bestätigt. Verrückt – mein erstes erlebtes Erdbeben! Naja, mir war schon klar, dass Chile in einer erdbebengefährdeten Region befindet. Schließlich schiebt sich die Nazca-Platte unter die südamerikanische Platte, welches zu Erdbeben führt. Und davon gibt es regelmäßig welche – mal etwas stärkere, mal etwas schwächere, mehrere täglich!
Als wären Erdbeben und der Coronavirus nicht schon genug Dinge, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, hatten wir im Hostel am Tag 14 und Tag 15 meiner Zeit hier einen unerklärlichen Stromausfall. Unerklärlich, weil nur das Hostel und zwei weitere Häuser betroffen waren und sonst der Strom im restlichen Block vorhanden war. Dies bedeutete kein Licht, kein Internet und somit auch keine sozialen Medien oder Kontakt nach draußen. Als wir uns mit der Situation abgefunden haben – schließlich konnten wir eh nichts daran ändern außer darauf warten, dass der Stromanbieter Menschen schickt, die an dem Problem arbeiten – habe ich den Tag am Strand verbracht und abends haben wir unsere Stirnlampen aufgesetzt, den Flash-Modus eingestellt, die Musik aufgedreht und in der Küche getanzt. Nun ist der Strom wieder da und alles ist wieder zur „Normalität“ zurückgekehrt.
Ein kleines bisschen Heimweh
An einem anderen Tag waren die andere Deutsche und ich im Jumbo-Supermarkt und dort konnten wir unseren Augen nicht trauen. Es gab so viele deutsche Produkte – von Gewürzgurken, Rotkohl, Kühne Senf über Haribo, Duplo, Rittersport Schokolade hin zum Dithmarscher Pilsener. Ich kann es nicht fassen! An meinem Einkauf konnte man erkennen, wo ich herkomme. Dies war einer dieser kleinen Heimweh-Momente. Schon verrückt, was diese Produkte in mir auslösen und welche Erinnerungen hervorgerufen werden. Und das ist auch okay so! Nach Hause möchte ich momentan trotzdem nicht, sondern möchte noch weiter die Weiten des südamerikanischen Kontinents erforschen. Aber nun heißt es erstmal warten. Wie lange? Wer kann das schon in Zeiten von Corona sagen?!
Informationen zu Valparaíso
An der Pazifikküste wurde Valparaíso um das Jahr 1536 gegründet und ist eine der ältesten Städte in Chile. Durch die Anbindung ans Meer und durch den Hafen gewann die Stadt am Bedeutung.
Im 19. Jahrhundert avancierte die Stadt zu einem wichtigen internationalen Handelszentrum im Südpazifik, da Europa und die USA hier Handelsstützpunkte etablierten. Der Bau des Panamakanals im Jahr 1914 und die Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 führten zu tiefen Einschnitten, so dass die Bankgeschäfte nach Santiago verlegt wurden.
Die Stadt Valparaíso liegt 120 km nördlich der chilenischen Hauptstadt Santiago und hat ca. 300.000 Einwohner*innen. Außerdem befindet sich hier der Sitz des chilenischen Kongresses. Sie ist die Hauptstadt der V. Region Chiles, welche ca. 900.000 Einwohner*innen hat. Zum Vergleich: in Chile wohnen insgesamt ca. 18 Millionen Menschen.
Valparaíso ist eine Stadt, die sich über 44 Hügel erstreckt. Dementsprechend hat man einen wunderbaren Blick über Teile der Stadt und über das Meer, aber es bedeutet auch, dass die Spaziergänge für mich als deutsches Nordlicht anstrengender sind.
Des Weiteren wird Valparaíso als Kulturhauptstadt Chiles bezeichnet und wird von einem alternativen Flair geprägt. Die Altstadt sowie die Touristenviertel Cerro Alegre und Cerro Concepción sind UNESCO Weltkulturerbe. Normalerweise finden hier viele Kulturveranstaltungen wie Festivals statt, die aber aufgrund des Coronavirus leider nicht stattfinden. Jedoch hoffe ich, dass ich noch in den Genuss von Valparaíso und des Flairs zu nicht Corona-Zeiten kommen werde.
Buchquelle:
Ben Box (2016): South American Handbook 2017. Footprint Handbooks Ltd