Ich sitze immer noch im Muffin Hostel in Valparaíso, Chile, und es gibt für mich immer noch kein vor oder zurück. Während in Deutschland bereits erste Lockerungen der Corona-Situation umgesetzt wurden, wird hier in Chile eher über eine Verschärfung der Maßnahmen diskutiert, da die Fallzahlen weiterhin steigen. Die Hauptstadt Santiago mit ca. sechs Millionen Einwohner*innen hat seit Kurzem eine komplette Ausgangssperre verhängt, so dass die Menschen vorerst bis zum 12. Juni zuhause bleiben müssen. Jedoch wurde diese Ausgangssperre bereits zwei Mal verlängert. Also es ist noch nicht abzusehen, wie sich die Situation weiterentwickelt. Andere Regionen, in denen die Infektionszahlen verhältnismäßig hoch waren, hatten schon vor einigen Wochen eine totale Ausgangssperre verhängt. In Valparaíso ist dies noch nicht der Fall, aber wir gehen davon aus, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist bis es diese Stadt und Umland trifft. Allerdings müssen Menschen ab 75 Jahre im gesamten Land zuhause bleiben.
Die Hostelfamilie schrumpft
Im Hostel hat sich auch etwas verändert und zwar ist Alex in die Schweiz zurückgekehrt und hatte eine abenteuerliche und lange Reise hinter sich. Die Entscheidung war ziemlich spontan und er hat sich ein Flugticket nach Mailand ergattern können und ein paar Tage später packte er seinen Rucksack und machte sich auf zum Flughafen von Santiago. Nach einer Übernachtung am Flughafen, im Flugzeug, in einer Hängematte – irgendwo in der Schweiz kurz hinter der italienischen Grenze – und unzähligen Verspätungen, kam er drei Tage später in seinem Heimatort bei Genf an. Tja, Reisen zu Corona-Zeiten hält einige Überraschungen bereit! Tristan möchte demnächst zurück nach Frankreich, aber sein Flug für Anfang Juni wurde gestrichen und es ist unklar, ob sein Flug Anfang Juli stattfinden wird. Derzeit sind wir also noch sieben Personen im Hostel.
Ich habe mein Touristenvisum um weitere drei Monate gegen eine Gebühr verlängert, da es nächste Woche abgelaufen wäre. Ich gehe also davon aus noch etwas länger hier zu bleiben und während ich diesen Blogeintrag verfasse, wird mir bewusst, dass ich schon knapp drei Monate hier am selben Ort bin. Ansonsten hat sich kaum etwas am Hostelalltag geändert. Wir sitzen jetzt nur noch selten gemeinsam draußen, da es echt kalt geworden ist. Der Herbst bringt halt auch das ungemütliche Wetter mit sich.
Der Humboldtstrom und seine Namensgeber
Mitte Mai habe ich allerdings das erste – wahrscheinlich auch das letzte – Mal im Meer an der chilenischen Küste gebadet (s. Titelbild) . Es war einer der letzten heißen Tage und wir haben die Sonnenstrahlen am Strand genossen. Das Wasser – wie soll ich sagen – war verdammt kalt! Aber was anderes hatte ich auch nicht erwartet?! Schließlich fließt der Humboldtstrom entlang der chilenischen Küste.
Dieser Meeresstrom erhielt seinen Namen vom Wissenschaftler Alexander von Humboldt, der auf seiner Entdeckungsreise im 18./19. Jahrhundert das Phänomen beobachtete und beschrieb. Der Humboldtstrom transportiert kaltes Wasser aus der Antarktis entlang der Westküste Südamerikas nach Norden. Südlich des Äquators strömt er nach Westen an den Galapagos-Inseln vorbei und geht in den Südäquatorialstrom über.
Die Gebrüder Humboldt
Tatsächlich sind mir die Forscher Alexander von Humboldt und sein Bruder Wilhelm vom Humboldt bereits im Studium begegnet … wahrscheinlich sogar noch früher, jedoch kann ich mich daran nicht erinnern.
Während sich Wilhelm der Sprache, Literatur und Kunst widmete und eine Bildungsreform anstieß, interessierte sich sein Bruder Alexander für ferne Regionen und unternahm unterschiedliche Forschungsreisen, u.a. auf dem amerikanischen Kontinent. Vor allem hielt er sich in Amerika, Mittelamerika und Südamerika auf. Jedoch hat ihn seine Expedition nicht ins heutige Chile verschlagen.
Erst letztes Jahr habe ich eine Biografie über Alexander von Humboldt geschenkt bekommen, welche ich in kürzester Zeit verschlang und sehr interessant fand. Ein wirklich unglaublicher Mensch, der verschieden Umweltphänomene, Pflanzen, Tiere beobachtet und beschrieben hat. Ich war besonders beeindruckt, dass seine Beobachtungen und Themen immer noch von gegenwärtiger Relevanz sind. So schrieb er bereits vor 200 Jahren in seinen Berichten u.a. über Monokulturen und deren Folgen für die Umwelt. Beide haben die damalige Wissenschaften durch ihr ganzheitliches Denken sehr geprägt und noch heute wird auf die beiden Brüder Bezug genommen.
Und sonst so?
Ansonsten geht es mir hier in Valparaíso nach wie vor gut. Ich genieße die viele freie Zeit mit mir selbst und mit den Menschen in meinem Umfeld. Wer weiß, wann ich das nächste Mal so viel Zeit nur für mich habe und die Tage ganz nach meinem Interesse gestalten kann. Oder wie Harald Juhnke sagen würde:
„Meine Definition von Glück? Keine Termine und leicht einen sitzen.“ – Harald Juhnke